Beschränken Sie den Weg des Besuchers Ihrer Website bis zum Ziel auf das absolute Minimum.
Das ist einer der Sätze, die manche Usability-Experten ihren Kunden, Zuhörern und allen Unbeteiligten, die gerade in der Nähe stehen, um die Ohren knallen. Der Satz klingt ja auch sinnig und wir würden niemals behaupten, dass er grundlegend falsch ist. Aber er ist halt auch nicht immer und überall richtig.
Das folgende Beispiel eines A/B Tests ist ein weiteres dafür, dass die allermeisten scheinbar ehernen Marketing- oder Usability-Grundsätze gar nicht so ehern sind. Manchmal führt der kleine Umweg, zu dem man einen Website-Besucher nötigt, zu mehr Erfolg.
Das Unternehmen Venido bietet seinen Kunden kostenlose Onlineshop-Lösungen an. Es hat dafür eine Landing-Page aufgesetzt, auf der sich Besucher registrieren können, um einen dieser kostenlosen Shops zu erhalten. In der Original-Landingpage befand sich das Registrierungs-Formular direkt auf der ersten Seite der Landing-Page. Wie praktisch, nicht wahr? Dieses Layout erfüllt eine wichtige Forderung an die Usability, sofern man an die allumfassende Gültigkeit des Satzes „Erspare deinem Website-Besucher möglichst viele Schritte auf deiner Seite“ glaubt.
Initiiert man nun einen A/B Test mit einer zweiten Variante der Landing-Page, bei der die Besucher erst durch einen Buttonklick aufs Registrierungsformular gelangen, müsste das Ergebnis eigentlich klar sein: Die Alternativ-Variante nötigt den Besucher zu einem Zusatzschritt. Deshalb steigt die Absprungrate, weshalb zugleich die Conversion-Rate sinkt. Soweit die Theorie! Beim praktischen Test sah das Ergebnis allerdings ganz anders aus. Die Zahl derjenigen, die sich für einen kostenlosen Onlineshop registrierten, stieg bei der Alternativvariante um sechzig Prozent.
Der Mythos „Eine Formular muss immer direkt auf der Landingpage sein“ wird oft verkündet. Viele Werbedienstleister machen sogar ihre Leistung davon abhängig, ob dies der Fall ist – entsprechend sieht man bei den meisten Leadformularen auch nichts anderes. Doch: dieser Mythos ist – so pauschal – einfach falsch. Offensichtlich werden viele Besucher abgeschreckt, wenn sie sofort ihre persönlichen Daten eingeben sollen, statt Informationen zu bekommen. In vielen Tests wurde in der Praxis gezeigt, dass oft eine längere Leadstrecke zu mehr Conversions führt – bei besserer oder gleichbleibender Leadqualität!
Da das Verschieben des Formulars aber die mit Abstand größte Veränderung gewesen ist, kann davon ausgegangen werden, dass sie ihren Einfluss auf das Ergebnis hatte. Wer bedingungslos an Usability-Grundsätze glaubt, hätte diese Veränderung allerdings nie vorgenommen.
Gute Usability-Experten haben in der Vergangenheit zahlreiche Erfahrungen mit zahlreichen Websites gesammelt. Aber es war a) die Vergangenheit und b) waren es andere Websites, die zu diesem Erfahrungsschatz geführt haben. Die Erfahrungen lassen sich deshalb nur bedingt auf neue und aktuelle Projekte übertragen. Nicht missverstehen: Man kann als Webmaster von den Erfahrungen der Experten durchaus profitieren. Aber alles, was sie sagen, ist letztlich ein fundiertes „Es könnte so sein“. Usability-Experten, die ihr Wissen als unantastbar verkaufen, sind nur mit Vorsicht zu genießen.
(via VWO)
Julian Kleinknecht
Geschäftsführer & Gründer
Julian Kleinknecht hat viele Jahre Erfahrung in den Bereichen Web-Analyse und A/B-Testing und teilt sein Wissen oft bei LinkedIn.