Esoterik in der Web-Optimierung

Neuromarketing

Conversion-Optimierer sind meist kritische Menschen, die andere Menschen dazu ermuntern, bisweilen ebenso kritisch auf die Welt des Marketings zu blicken. Conversion-Optimierer glauben nicht. Sie testen. Und ich rate allen meinen Kunden dazu, so zu verfahren: zu testen und nicht stattdessen auf leere Versprechen zu vertrauen.

Auch die bunte Welt des Marketings hält bisweilen schillernde Techniken bereithält, die tatsächlich nur schillern, aber nicht dazu geeignet sind, die Chance auf erreichte Marketingziele zu steigern, nicht zum jetzigen Zeitpunkt und vielleicht auch in ferner Zukunft nicht. Ein Beispiel für solch eine schillernden Technik ist das Neuromarketing.

Welche Ansicht teilen Neuromarketer und Conversion-Optimierer?

Eine einheitliche Definition des Neuromarketings existiert meines Wissens bis heute nicht. Nähern wir uns der Sache also auf andere Weise. Was will Neuromarketing? Die meisten Menschen, die sich dem Neuromarketing verschreiben, gehen davon aus, dass Kaufprozesse viel mehr als bisher angenommen von Emotionen gesteuert werden und viel weniger vom Verstand. Der Aussage lässt sich kaum widersprechen.

Zahlreiche Werbebeispiele aus der Vergangenheit und Gegenwart und wohl auch in der Zukunft zielen auf die Gefühlsebene. Und auch ich denke: Der Mensch kauft nicht immer nur Dinge, weil er sie nützlich findet und/oder braucht. Er kauft auch, weil der Kauf all die kleinen Glückshormone tanzen lässt, weil der Kauf Spaß und Lust verspricht. Bis hierhin können Conversion-Optimierer und Neuro-Marketer also durchaus gemeinsame Wege beschreiten. Allerdings enden diese Wege bereits nach wenigen Metern.

Hirnströme und ethische Fragen

Was Neuromarketing für mich beispielsweise so fragwürdig macht, ist der Versuch, aus den Hirn-Scans, die durch Magnetresonanztomografie entstehen, Rückschlüsse darauf zu ziehen,

  • welcher Reiz welche Hirnareale aktiviert und

  • letztlich darauf, welcher Reiz am ehesten zur Kaufentscheidung führt.

Werden ethische Aspekte des Marketings diskutiert, ruft manch ein Diskutant bereits hier „Stopp“. Würde man etwa exakt herausfinden, welche Hirnareale wie angeregt werden müssten, um Menschen zum Kauf eines Produktes zu bringen, würde das manipulierende Element der Werbung deutlich stärker werden und man müsste sich fragen, ob hier noch von freier Kaufentscheidung die Rede sein kann.

Würde Neuromarketing heute funktionieren, wäre es ein ernsthafter Angriff auf die Freiheit des Konsumenten. Ihn können auch Werbende nicht wollen. Aber alle Menschen, die sich um solche ethischen Fragen Gedanken machen, können beruhigt aufatmen. Das Neuromarketing ist noch nicht soweit und wird vielleicht niemals soweit kommen.

Was kann ein Instrument. Und was nicht?

Medizinische Methoden wie die Magnetresonanztomografie haben sich (in der Medizin!) bewährt und sind etwas Gutes, sofern man ihre Grenzen erkennt. Die beginnen dort, wo Hirnscans dazu genutzt werden, Rückschlüsse für erfolgreiches Marketing zu ziehen. Aufgrund solcher Scans lässt sich heute keine einzige überprüfbare Aussage zum Kaufverhalten von Menschen treffen.

„Wenn dieser oder jener Hirnbereich im Scan rot leuchtet, dann ist die Kaufbereitschaft riesig.“ Solche Aussagen sind so unsinnig, wie sie klingen. Völlig unsinnig. Im Mai 2011 gab es im Magazin „Spiegel“ einen schönen Artikel mit dem ebenso schönen Titel „Großhirn-Voodoo“ (Spiegel 18/2011) und der Grundaussage, dass die mannigfaltigen Interpretationen, zu denen manche Menschen beim Blick auf Hirnscans neigen, extrem fehleranfällig und mitnichten wissenschaftlich sind. Ich teile diese Ansicht. Sie sollten es auch tun.

Mitunter bekommt man den Eindruck, um die bunten Flecken im Hirnscan herum werde schlicht mit viel Phantasie eine passende Geschichte gestrickt. „Bewiesen: Liebe wirkt wie Kokain“, dichtete beispielsweise die Berliner „B.Z.“. Die „Welt“ schrieb: „Forscher beweisen: Nach 20 Jahren haben manche Paare Gefühle wie am ersten Tag.“ „Sex findet bei Frauen zwischen den Ohren statt“ und „Naturszenen sind Balsam fürs Gehirn“ lauteten weitere Schlagzeilen. (Quelle: Spiegel Online)

Einfache Aussagen zu komplexen Vorgängen können nur falsch sein!

Letztlich zeigen Hirnscans unterschiedliche Grade der Durchblutung in verschiedenen Bereichen des Gehirns und die Interpretation dieser Scans lässt definitiv keine Rückschlüsse auf solch komplexe Vorgänge wie einen Kaufprozess zu. Falls jemand Neuromarketing zum jetzigen Zeitpunkt als real anwendbare Marketing-Methode verkauft, rate ich daher allen Lesern, sehr skeptisch zu sein und sich anderen Methoden des Marketings zuzuwenden. Vertrauen Sie Ergebnissen, die Sie selbst testen und validieren  können, nicht irgendwelchen wohlklingenden Worten und/oder schillernden Ideen.

Der Autor

Julian Kleinknecht - Geschäftsführer & Gründer

Julian Kleinknecht
Geschäftsführer & Gründer

Julian Kleinknecht hat viele Jahre Erfahrung in den Bereichen Web-Analyse und A/B-Testing und teilt sein Wissen oft bei LinkedIn.

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