Jedem sein eigener Preis

Dynamic Pricing: schlau oder unfair?

Könnte man jedem potenziellen Kunden den höchsten für ihn gerade noch akzeptablen Preis eines Produkts präsentieren, ohne dass andere von den Preisunterschieden erführen – das wäre wohl der Schlüssel zu einem enormen Verkaufserfolg.

Ganz so weit ist man heute noch nicht. Dennoch gibt es viele Möglichkeiten für eine softwaregestützte dynamische Preisgestaltung, die sich an zahlreichen Daten orientiert und Preise optimiert, bisweilen mehrfach am Tag. Sie zu nutzen, ist aus Sicht mancher Experten längst nicht nur Chance, sondern Notwendigkeit.

Was ist Dynamic Pricing?

In der Studie „Dynamic Pricing – die Individualisierung von Preisen im E-Commerce“ (November 2015) der Arbeiterkammer Wien werden Wirtschaftswissenschaftler wie folgt zitiert:

Dynamic Pricing bedeutet im weitesten Sinne, „Preisvorgaben zu beliebigen Zeitpunkten innerhalb des Verkaufsprozesses zu ändern, um so auf veränderte nachfrage- oder konkurrenzbezogene Rahmenbedingungen mit dem Ziel der Maximierung des Gesamterlöses zu reagieren.“

Kluges Dynamic Pricing lässt sich heute – bezogen auf das Internet – kaum anders als softwaregestützt und unter Nutzung vieler Daten realisieren. Das berücksichtigen Prof. Dr. Peter Kenning von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und Prof. Dr. Michael Schleusener von der Hochschule Niederrhein bei ihrer eigenen Definition auf der Website der Verbraucherzentrale.NRW:

„Dynamic Pricing bezeichnet die automatisierte intertemporale Festlegung des optimalen Verkaufspreises für Produkte oder Dienstleistungen mit Hilfe digitaler Technologien.“

Gerade in harten Konkurrenzsituationen kann es sich schnell als Fehler erweisen, auf Dynamic Pricing zu verzichten.

Händler mit einer guten Dynamic-Pricing-Strategie schaffen es oft häufiger, potenzielle Kunden preislich zu überzeugen. Ein immer wieder genanntes Beispiel und Vorbild ist Amazon. Eine Studie des Preismonitoring-Anbieters „Minderest“ hat beim Handelsriesen in der Produktgruppe Elektroartikel innerhalb von drei Tagen über eine Million Preisveränderungen registriert.

Das Institut für Handelsforschung zitiert Boris Schuler, den Principal Advisor „Dynamic Pricing“ bei prudsys, mit der Aussage, dass man in A/B-Tests durch Dynamic Pricing mithilfe eines komplexen Pricing-Algorithmus Ertragssteigerungen von bis zu 8% nachgewiesen hat. Das Unternehmen prudsys ist ein Anbieter von Lösungen für Echtzeit-Personalisierung.

Blue Yonder, ein Anbieter cloudbasierter Predictive Applications für den Handel, nennt derweil eine Umsatzsteigerung und Margenerhöhung von durchschnittlich 5% als Effekt einer dynamischen Preisgestaltung.

Faktoren, mit denen Dynamic Pricing gelingt

Beispiele für unterschiedliche Faktoren, die in die dynamische Preisgestaltung einfließen können, liefert die bereits erwähnte Studie der Arbeiterkammer Wien. Sie nennt:

  • zeitliche Faktoren wie hohe/geringe Nachfrageperioden und saisonale Ereignisse wie Feiertage,
  • Dringlichkeit, etwa aufgrund einer Angebotsknappheit oder äußerer Bedingungen (z.B. Wetter),
  • Standortfaktoren wie etwa regionale Konkurrenz oder Faktoren wie regionale Feiertage,
  • genutzte Endgeräte wie etwa ein mobiles oder stationäres Endgerät,
  • Kundenprofile und damit zum Beispiel das individuelle Surfverhalten und ehemalige Einkäufe.

Realisieren lässt sich Dynamic Pricing auch durch den Einsatz von Gutscheinen mit unterschiedlicher Rabatthöhe, die einigen Kunden angeboten werden und anderen nicht.

Eine weitere Variante des Dynamic Pricings nennt prudsys Bundle-Pricing. Hier „wird zu einem Produkt, für das sich der Nutzer konkret interessiert, mindestens ein weiteres vorgeschlagen. Gleichzeitig wird auf dieses Bundle ein Preisvorteil gewährt“, heißt es im Whitepaper Dynamische Preisoptimierung im Handel.

Was sagt der Gesetzgeber?

„Dynamic Pricing stellt zwar eine bewusste Preisdiskriminierung dar, ist aber rechtlich zulässig. Die Preisangabenverordnung enthält keine Bestimmung, dass die Preise für jedermann gleich sein müssten oder über einen gewissen Zeitraum stabil“, schreibt Sophie Engelhardt, Fachanwältin für Urheber- und Medienrecht, in einem Gastbeitrag auf Deutsche-Startups.de.

Sie warnt allerdings davor, dass die in Preissuchmaschinen eingestellten Preise nicht niedriger sein dürfen als die, zu denen das Angebot im Shop präsentiert wird, da das gegen Wettbewerbsrecht verstoßen würde.

Trotz der prinzipiellen Zulässigkeit von Dynamic Pricing ist es sinnvoll, rechtliche Entwicklungen rund ums Thema im Auge zu behalten, denn Teile der Politik und des Verbraucherschutzes stehen dieser Art von Preisgestaltung skeptisch gegenüber.

So berichtete das Magazin Stern im Februar 2016, dass der nordrhein-westfälische Verbraucherschutzminister Johannes Remmel (Die Grünen) schärfere Gesetze gegen die individuellen Preise im Netz prüfen lassen möchte. Relevant können dabei datenschutzrechtliche Belange ebenso wie das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz sein:

Nicht akzeptabel sind unterschiedliche Preise für im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) genannte gesellschaftliche Gruppen, antwortet etwa Robert Queck, Leiter Competence Center E-Commerce beim Unternehmen Arithnea, in einem Interview vom 21.04.2016 auf IT-Zoom.de.

Das AGG zielt darauf ab, „Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen“.

Dynamic Pricing: Fast 40% der Unternehmen nutzen es!

Laut der Studie „Die Wirtschaftslage im deutschen Interaktiven Handel B2C 2015/2016“ des Bundesverbandes E-Commerce und Versandhandel Deutschland e.V. (bevh) und des Unternehmens Creditreform Boniversum passen 38% der befragten 130 Unternehmen die Verkaufspreise an besondere Anlässe an.

18% planen die Einführung einer dynamischen Preisgestaltung. Allerdings gaben 82% der Befragten in der Studie an, die Preise nur unregelmäßig und nach Bedarf anzupassen, sodass man hinterfragen muss, ob es sich hier wirklich noch um eine dynamische Preisgestaltung im engeren Sinn handelt. 13% ändern den Preis einmal pro Tag und jeweils 3% zwei- bis dreimal am Tag bzw. häufiger.

Die beiden am häufigsten genannten Gründe für dynamische Preisanpassungen waren das Preisverhalten von Wettbewerbern (62%) und das Bestellverhalten von Kunden (26%). Tatsächlich ist eine dynamische Preisgestaltung aber nur dann sinnvoll, wenn man beides im Blick behält. Die Preisakzeptanz hängt schließlich von vielen Faktoren ab und das eigene Image spielt dabei ebenso eine Rolle wie das Wettbewerberverhalten.

Kurz gesagt: Wer als schnell liefernder Händler mit exzellentem Service gilt, kann unter Umständen teurer sein als die Konkurrenz und hat dennoch den für sich optimalen Preis gewählt.

Eines der Risiken: Kundenneid

Preise müssen aus Kundensicht angemessen sein, Preisunterschiede nachvollziehbar. Sind sie es nicht, können sie Neid verursachen, der im ungünstigsten Fall dazu führt, dass sich der Kunde vom Onlineshop abwendet. Ein Beispiel, bei dem das passieren könnte, lieferte das Digitalmagazin etailment mit einem 2015 dokumentierten Test zweier Onlineshops für Kontaktlinsen.

Der Test wies nach, dass der Preis einer bestimmten Kontaktlinse für diejenigen, die die Shops direkt ansteuerten (typisches Verhalten von Bestandskunden) höher war als der Preis für diejenigen, die via Google auf die Onlineshop-Seite kamen, was eher dem Verhalten potenzieller Neukunden entspricht. Die Preisdifferenz lag zwischen 9 und 13 Euro. In dieser Strategie sieht etailment eine Bestrafung der Treue von Stammkunden und damit „eigentlich eine verkehrte Welt“.

Was zieht man daraus für Schlüsse? Die Autoren Inga Kristina Wobker, Linn Viktoria Rampl und Prof. Dr. Peter Kenning weisen im Artikel „Kundenneid – wenn aus Differenzierung Diskriminierung wird“ auf Marke41.de auf die Notwendigkeit hin, Vergleiche unter Kunden und das daraus gegebenenfalls resultierende Neidverhalten in die Marketingplanung zu integrieren.

Sie raten unter anderem zur Analyse, „welche Referenzpunkte Kunden verwenden, um Konditionen zu beurteilen“ und sie empfehlen, bei Privilegien für Kunden transparent zu kommunizieren, „warum er oder sie diesen Vorzug tatsächlich verdient hat.“

Das Unternehmen Darwin Pricing, das sich als Geo-Pricing-Spezialist versteht, weist zudem darauf hin, dass bei der Diskriminierung nach Neu- und Bestandskunden die einseitige Benachteiligung teils durch Leistungen wie etwa höhere Service-Levels für Bestandskunden kompensiert werden kann.

Ausprobieren und wachsam bleiben

Studien und Expertenmeinungen zeigen: Als Onlinehändler sollte man zumindest über den Einsatz von Dynamic-Pricing-Lösungen nachdenken, um die Preisgestaltung datenbasiert zu optimieren. Wichtig sind aber Feedbacksysteme, um Einflüsse auf Conversion-Rate, Umsatz, Kundenloyalität und/oder Retourenrate früh zu erkennen und die Strategien gegebenenfalls (bei negativem Einfluss) zu verändern.

Der Autor

Julian Kleinknecht - Geschäftsführer & Gründer

Julian Kleinknecht
Geschäftsführer & Gründer

Julian Kleinknecht hat viele Jahre Erfahrung in den Bereichen Web-Analyse und A/B-Testing und teilt sein Wissen oft bei LinkedIn.

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